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Intro: Stehende Dauer / durée
Bewegungs- und Tanzstudien 


Stellt man sich der Herausforderung, das Wesen der Fotografie scheinbar zu überwinden und Bewegung
im Bild zu erfassen, wird ein tanzender Körper durch lange Belichtungszeiten zur Lichterscheinung.

Neben Licht und Raum gehört die Zeitdimension zu den elementarsten Bedingungen der Fotografie.
Die klassische analoge Fotografie kann nur Dinge abbilden, die in der Zeit wirklich und gegenwärtig sind.
Ein Foto gibt immer Zeugnis über das Dagewesensein einer Sache oder Person, es zeigt den Augenblick einer
vergangenen Präsenz in Zeit und Raum. Das Bild entreißt ein Stück der Vergangenheit und bannt diesen Moment
auf Zelluloid. (Wobei hier Wirklichkeit und Wahrheit nicht verwechselt werden dürfen.)

KURZER BLICK ZURÜCK
Bewegungsstudien hat es in der Geschichte schon immer gegeben.
Diente die Beobachtung von Einzelfaktoren bei Bewegungsabläufen in den Aktzeichnungen von
Renaissance-Künstlern wie Leonardo da Vinci oder Dürer vor allem einer bildhaften Verdichtung,
so verlagerte sich der Schwerpunkt in den fotografischen Bewegungsaufzeichnungen Ende des
19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entschieden.
Meist mit wissenschaftlichem Ansatz, oder vor dem Hintergrund ökonomischer aber auch militärischer
Notwendigkeiten, wurde versucht, Bewegung analytisch in Einzelphasen aufzufächern.
Die Pioniere der Chronofotografie entwickelten erste Methoden der Serienaufnahmen, um einzelnen Phasen
von Bewegungen festzuhalten und sie für das träge menschliche Auge sichtbar zu machen.

Während der gebürtige Engländer Eadweard Muybridge (1830-1904) mit bis zu 30 hintereinander
geschalteten und synchronisierten Kameras arbeitete, belichtete der Franzose Etienne Jules Marey
(1830-1904) mehrere Aufnahmen auf einer Platte. Seine Arbeit mündete 1883 in der Konstruktion
des fotografisches Gewehrs, das es möglich machte, einzelne Phasen einer Bewegung in Form
von Einzelaufnahmen in einer Reihe hintereinander auf eine Platte zu belichten (Marey-Rad).
Durch die Konstruktion eines Scheibenverschlusses und die Bewegung der kompletten Kamera gelang es ihm
später, einen Bewegungsablauf zergliedert in einzelne Phasen in einem Bild darzustellen, ohne jedoch
die Präzison von Strobo-Aufnahmen zu erreichen.







FOTOGRAFIE und FILM:
Im Gegensatz zur Fotografie hält der Film nicht nur das im Bruchteil einer Sekunde festgefrorene Abbild
der Dinge fest. Durch die schnelle Abfolge von Einzelbildern wird dem Betrachter Bewegung suggeriert.
Damit vermittelt der Film die Illusion einer Dauer.
Läuft die Projektion des Films jedoch schneller oder langsamer als die ursprüngliche Aufnahmegeschwindigkeit,
entsteht eine zweite ebenso reale Zeitebene.
Während die Wirklichkeit der Dinge im Film also nur um ihre räumliche Komponente minimiert scheint,
steht in der fotografischen Realität auch die Zeit still.
Diese wird angehalten, Bewegung wird gestoppt und zum Stillstand gebracht und der Zugang zur Dauer verwehrt.

LANGZEITBELICHTUNGEN SIND ZEITAUFZEICHNUNGEN:
Erhard Scherpf unternimmt in seinen Serien den Versuch, den Moment des Stillstandes scheinbar aufzulösen und
die "Dauer" in der Fotografie erfahrbar zu machen.
In seinen Arbeiten zeichnet die tanzende Gestalt über die gesamte Zeitspanne der Bewegung
als Langzeitbelichtung auf. Die jeder Aufnahme zu Grunde liegende Länge der Belichtung wird also
durch die Dauer der Bewegung bestimmt. Der Körper ist während dieser Zeit "im Fluss".

Die Aufnahmen zeigen die Summe der Erscheinungen dieses einen Körpers in der Zeit.
Das Nebeneinander und Übereinander von Bildspuren die der sich bewegende Körper vor dem schwarzen
Hintergrund zurücklässt markiert einen Ort an dem diese Bewegung stattgefunden hat.
Einzelbilder verschmelzen, Zeit wird gerafft.
Teilweise verhindern die Überlagerungen das Entwirren der einzelnen Stadien .
Einzig die unterschiedlich starken Schwärzungen der lichtempfindlichen Schicht des Negativs,
die letztlich die Bildweißen und Grautöne im Positv ausmachen, sind Indikator für die zeitliche Dauer.

Durch die Dehnung des fotografischen Augenblicks scheint der Körper aus der Isolation seiner festen Kontur
herauszutreten. Das Objekt der Betrachtung entzieht sich dem direkten, allem habhaft werdenden Zugriff
des Auges. Anschaulich bleibt der bildhafte Niederschlag von etwas, das sich verflüchtigt:
der Filtersatz der
Bewegung.








Mit dem Versuch Zeit- und Raumebenen zu erfassen erleben wir zugleich deren Verschwinden.
Nicht durch den "sezierenden Schnitt" des Stroboskop-Blitzes, sondern durch die Aufzeichnung der Summe
der Erscheinungen in der Zeit, durch die angemessen lange Belichtungszeit, gelangt man zur Synthese der Bewegung, zur Darstellung der Geste.
Diese Gesten sind nicht zeitlos, aber auch nicht zeitvoll im Sinne eines geordneten Nacheinander, wie es Film sein kann:
Sie sind "stehende Dauer", "durée", ganz im Sinne der philosophischen Betrachtungen
von Henri Bergson (1859 -1941), der Zeit als stehende Dauer (durée) beschreibt.


TECHNIK
Alle Aufnahmen wurden auf Polaroid-Sofortbildmaterial im Format 10 x 12,5 cm gemacht.
Dabei entstand ein Schwarzweiß-Positiv, was eine sofortige Kontrolle und Korrektur sowohl der
Kameraeinstellungen als auch des Bewegungsflusses ermöglichte.
Und es entstand ein Schwarzweiß-Sofortnegativ im Format 10 x 12,5 cm, das zunächst Ausgangsmaterial für
analoge Schwarzweiß-Vergrößerungen war und später eingescannt wurde.
Der Polaroid-typische Negativrand wurde mitvergrößert.


DANK:
Alle Aufnahmen entstanden in enger Kooperation und Absprache mit
der Tänzerin und Bildhauerin Martina Schreiber, die diese Bewegungen
mit endloser Geduld und hohem präzisen körperlichen Einsatz ausführte.
Ohne ihre Inspiration wären diese Serien nicht möglich gewesen.


Fotografie + Text: Copyright © Erhard Scherpf, 2012