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Tote Tiere                                                                                    

Erhard Scherpf zeigte in seinen Einzel- und Gruppenausstellungen
der letzten zwei Jahrzehnte überlebensgroße Bilder von Körpern,
die sich radikal dem herrschenden Diktat des ausdruckslosen, immer
gleichen Schönheitsideals verweigerten.
Körperbilder von nackten Menschen, die durch Krankheit oder gewaltsame
Einwirkung von aussen gezeichnet waren, die alt waren oder nach einer
neuen Identität, nach einem neuen Körperbild mittels Tattoos und Piercings
suchten.

Die aktuelle Serie von Bildern von Tierkörpern nähert sich stärker als jede
andere bisherige Arbeit dem unausweichlichen Ende des Lebens und versucht
dem Tod so nahe wie möglich zu kommen.
Die Aufnahmen der auf natürlichem Weg mumifizierten Tierkörper vermeiden
alles beschönigende wie wir es von Tierpräparaten oder einbalsamierten
menschlichen Körpern kennen. Sie verleugnen nicht den Tod und die Zeichen
des Verfalls und der Vergänglichkeit.

Gäbe es nach dem Tod keine Verwesung, wäre dem natürlichen Kreislauf
des Lebens die Basis entzogen. Und es gäbe auch keinen Traum vom ewigen
Leben und keine kulturelle Adaption dieser besonderen Form der natürlichen
Körpererhaltung -
Mumifizierung genannt.

Einige der fotografierten Tiermumien sind Funde, die bei der Sanierung alter
Gebäude entdeckt wurden.
In der Regel entsteht diese natürliche Mumifizierung durch Austrocknung an
einem wettergeschützten trockenen Ort. Die ausgetrockneten Tiere
fanden sich in Scheunen und Schuppen, Kellern und auf Dachböden.
Zu vermuten ist, dass sich die Tiere dorthin zum Sterben verkrochen.




Ihre Erhaltung im mumifizierten Zustand ist ein Zufallsprodukt, da die Tiere
in einem Milieu verendeten, das die Mumifizierung begünstigte und die
Kadaver dort ungestört und entsprechend lange verweilen konnten.
Trockene warme als auch trockene kalte Luft und direkte Sonneneinstrahlung
sorgten für einen schnellen Wasserentzug. Das Gewebs- und Körperwasser
verdunstete und die Zersetzung organischer Strukturen durch körpereigene
Enzyme (Autolyse oder auch Selbstandauung genannt) wurde stark verlangsamt.
Zumeist trocknete zuerst die Oberfläche des Tierkadavers sehr schnell aus,
verfestigte sich später lederartig und verhinderte eine erneute Wasseraufnahme.
Besonders gut lässt sich dies bei Reptilien beobachten.

Im Inneren eines aussen bereits trockenen Körpers kann sich je nach Intensität
und Geschwindigkeit der Trocknung die Feuchtigkeit unter Umständen jedoch
länger halten und zur weiteren Fäulnis führen.

Bei der Mumifizierung in unseren Breitengraden unter optimalen Umgebungs-
bedingungen in Bezug auf Trockenheit und Luftzufuhr ist die Erhaltung innerer
Organe deshalb vermutlich sehr unterschiedlich bis unwahrscheinlich,
schon alleine deshalb, weil nicht nur körpereigene Prozesse nach dem Tod
zu unterschiedlichen Stadien der Fäulnis führen.
Fliegenmaden tragen maßgeblich zur Verwesung und Zerstörung eines Kadavers bei.
Im Sommer kann es innerhalb weniger Wochen durch Madenfraß zu einer nahezu
vollständigen Skelettierung eines über der Erde liegenden Kadavers kommen.

Fliegenmaden tragen hauptsächlich auch zur Durchsetzung der Hautschichten bei.
Sauerstoff kann dadurch in tiefere Gewebe vordringen und den Verwesungsprozess
deutlich beschleunigen. Eingeweide und Muskulatur werden durch Aasinsekten
und deren Maden aufgezehrt.




Unter günstigsten Mumifizierungsbedingungen trocknet das von den Maden
aufgelöste Weichteilgewebe jedoch auch sehr schnell wieder aus. Damit ist den
Maden dann die weitere Nahrungsgrundlage entzogen und der Prozess stoppt.

Ein Produkt des Fäulnisprozesses ist auch die Ablösung der Oberhaut.
Haare sind dadurch leichter auszuziehen, bei Tierkadavern führt dies
zur Fellablösung, an der auch Insekten maßgeblichen Anteil haben.
Zurück bleibt dann nur eine lederne Hauthülle, die das Knochengerüst überzieht.

Katzenmumienfunde unter der Türschwelle der Eingangstür zum Wohnhaus,
in der Decke über dem Wohnbereich oder in der Nähe des Kamins lassen
vermuten, dass es sich um sogenannte
Bauopfer handelt.
Dokumentiert sind Funde in Häusern aus dem 15. Jahrhundert bis zu Bauten
aus dem 19. Jahrhundert.

Da es für den Mumifizierungsprozess wichtig ist, dass die Haut intakt bleibt,
wurden die Tiere vermutlich ertränkt oder ihnen wurde das Genick gebrochen.
Danach wurden die Tiere eingeschlossen oder eingemauert.
Hinter dem sogenannten Bauopfer steckte der Glaube, jeder Neubau
fordere ein Opfer, um dämonische Mächte zu besänftigen und um Hexen und
dem Teufel den Zutritt zum Haus zu verwehren.
Das Böse sollte mit seinen eigenen Symbolen gebannt werden.

Im Mittelalter glaubte man, Hexen könnten sich in Katzen verwandeln.
Eine tote Katze im eigenen Haus zu vergraben sollte also eine Warnung sein,
und Unglück vom Haus und seinen Bewohnern fernhalten.
Was auch erklären könnte, warum in einigen Kirchen und Pfarrhäusern
besonders viele Katzenmumien gefunden wurden.





Die
klerikale Wahnvorstellung über die zunehmend bedrohlichere Macht des
Bösen, das zum letzten Schlag gegen die göttliche Schöpfung auszuholen
schien, führt zu Hexenwahn und Ketzerverfolgung und plazierte neue, scheinbar
wirkmächtigere magische Rituale auch im Volksglauben.

Und auch Protestanten empfahlen zur Brandverhütung:
Man schlachte ein schwarzes Huhn und wickele es gemeinsam mit einem am
Gründonnerstag gelegten Hühnerei in ein mit dem Menstruationsblut einer Jungfrau
beflecktes Hemd. Das Ganze sei mit Wachs zu umgeben, in ein Gefäß zu stecken
und unter der Türschwelle zu vergraben.
(Pastor Johannes Colerus, 1566-1639)

Ebenso verbreitet war der Glaube, der Teufel würde sich die Seele der ersten
Person holen, die ein neu errichtetes Gebäude betritt. Mit einem Opfer wollte
man die zukünftigen Bewohner schützen und liess deshalb zuerst eine Katze
ins Haus hinein und sperrte sie ein bis sie verhungert war. Dieses Opfer hatte
nun den Fluch auf sich gezogen, das Haus war geweiht.

Im alten Ägypten hat man nicht nur Menschen in Mumien verwandelt.
Auch Tiere wurden zu Hunderttausenden konserviert - darunter Katzen,
Hunde, Mäuse, Käfer, Vögel und sogar Gazellen und Krokodile.


Tiermumien standen für Gottheiten und beherbergten im Glauben
der Ägypter einen Teil der göttlichen Seele. Um diese Seele auf der Erde
zu halten, musste sie einen Körper haben. Mit der Einbalsamierung wurde
dieser Körper deshalb möglichst vollständig und äusserlich
wiedererkennbar erhalten.
Eine Mumie symbolisierte den Übergang in eine andere Welt sowie die
Auferstehung des Verstorbenen und seine Weiterexistenz nach dem Tod
und war somit Sinnbild für das auf Ewigkeit ausgerichtete Dasein des Toten.





Natürliche Mumifizierung entsteht wie gesagt durch Austrocknung.
Körperhaltung und Ausdruck der Mumien bei natürlich zu Tode gekommen
Tieren sind jedoch weitestgehend unverändert. Gekrümmte Gliedmaßen
sind teilweise auf die Trocknung der Sehnen zurückzuführen.
Einige der fotografierten Tiermumien wiesen jedoch auffälligere
Veränderungen von Körperform und Körperhaltung auf.
Bei den sogenannten Hausopfern ist dies sicherlich auf die beengten
räumlichen Gegebenheiten zurückzuführen, in denen die Kadaver
untergebracht, oder die Tiere lebend eingemauert wurden

Bei anderen Tieren ist eine deutliche Gewalteinwirkung von aussen
nicht zu übersehen:
Katzen verklemmten sich in der Astgabelung eines Baumes,
Ratten wurden in einem zusammenrutschenden Holzstapel verkeilt,
Waschbären oder Marder verfingen sich in einem verspannten Netz zur
Taubenabwehr, Mäuse und Frösche
wurden auf der Strasse plattgefahren.


Natürlich versuchen all diese Fotos
den Tod an sich ins Bild zu setzen.
Doch dieser entzieht sich einer fotografischen Erfassung und treibt
das Medium Fotografie und unser Sehen und unser Erkenntnisvermögen
an ihre Grenzen.
Die Aufnahmen zeigen also etwas, was tot ist.

Das Besondere aber ist, sie bilden sozusagen auch den letzten Bruchteil
einer Sekunde eines Tierlebens ab, den letzten Moment, den letzten
Wimpernschlag im zeitlichen Übergang vom Leben zum Tod,
dem vielleicht ein länger dauernder Sterbeprozess voranging.





Die Wahl der Ausstellungsformate dieser Aufnahmen
zielt darauf ab, eine Darstellung in Überlebensgröße zu geben.

Das Abbildungsformat dieser Internetseiten ist jedoch begrenzt
und lässt bei kleineren Tiermumien eine deutliche Vergrößerung zu,
birgt bei größeren Tieren jedoch die Gefahr der Verniedlichung,
Verharmlosung und Ästhetisierung.

Erst die Vergrößerung auf ein mehrfaches der Körpergröße
schafft maximale Intimität, "beunruhigende" Nähe und
zudringliche Direktheit.
Dieser Exhibitionismus des radikal "Wahren" verbreitet Unbehagen.

Fotos und Text Copyright © Erhard Scherpf, 2020/2022/2023




Literatur:
- Gunter Altenkirch " Volks- und Aberglauben", Saarbrücken 2017
- H. Bächthold-Stäubli "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin 2000
- "Mumien", Katalog, Reiss-Engelholm-Museum, Mannheim 2008
- Fillipetti /Trotereau "Zauber, Riten und Symbole, Hersching 1992
- "Hexen", Katalog, Historisches Museum der Pfalz Speyer, 2009
- "Ägyptische Mumien" Katalog, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart 2007
- Blätter zur Stadtgeschichte 16" Archiv der Stadt Bietigheim-Bissingen, 2005
- Rainer Scherb "Bauopfer", Johannisberger Arbeitsblätter, Fulda 2014
- Niederberger/Hirtler "Geister, Bann und Hergottswinkel, Schweiz 2017






Ohne die zahlreichen Hinweise auf Sammler und deren Leihgaben
hätte ich dieses Projekt nicht realisieren können.


Danke für die Unterstützung an:
- Stephan Küster, Rückersfeld
- Rainer Scherb, Gilsa
- Klaus Hottman, Schlierbach
- Jochen Siebert, Lehmbau, Volkmarsen
- Inge + Theo Mutter, Sippershausen
- Ulrich von und zu Urff, Niederurff

- Ernst-Ulrich von Teubern, Gaia-Holzbau, Dillich
- Vera Grenner, Betzigerode
- Martin Burberg, Töpferei Hundshausen

- Gunter Altenkirch, Museum des saarländischen Aberglaubens, Gersheim
- G. Frank Dähling-Jütte, Raußmühle - Alltagsmuseum der bäuerlichen Kultur, Eppingen



Das Projekt wird fortgesetzt.