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LSD, Video und Epilepsie

LSD und Video - mit den Produkten der wissenschaftlichen Vernunft gingen wir auf den Trip:
"Je entscheidender der Blick auf den Tod entstellt ist, desto rigoroser -- eben auch exaltierter -- brechen sich die
Rauschenergien eine freie Aussicht". (
G. Mattenklott )
Man könnte auch sagen: Je umfassender der Versuch einer Objektivierung, Verräumlichung, Linearisierung von Zeit
unsere Erfahrungen zu strukturieren sich anmaßt, umso größer das Bedürfnis, sich in wie auch immer gearteter Weise
einer eigenen, subjektiven Zeit zu versichern.
Und wie wenig die Vorstellung von Zeit an sich von ihrer subjektiven Erfahrbarkeit getrennt werden kann, zeigt der bis
heute dauernde Versuch der abendländischen Logik, sich mit einer Phänomenologie der Zeit nicht in eine Sackgasse
zu manövrieren.

Der letzte große, massenhaft herbeigeführte, wenngleich immer individuell verlaufende und erlebte (Bilder-) Rausch
der "Vor-Video-", Vor-Light-Show"-, "Vor-Synthesizer-Zeit", wurde sicherlich in den 60-er und frühen 70-er Jahren unter
dem Einfluss von Mescalin und LSD erlebt.

Die Zeitmarken "Vor-Video"- "Vor-…-Zeit" scheinen mir deswegen angebracht, da m. E. "Mit-Video", Mit-…", etc. das
individuelle Rauscherlebnis "ein-Stück-weit" gesellschaftsfähig, gesellschaftlich verfügbar, technisch steuerbar wurde.

Die sich lediglich ans Auge wendenden und die konventionelle Organisation der Sinneswahrnehmung aufrecht erhaltenden
und fördernden elektronischen Medien haben, wie es scheint, einen Teil ihres audiovisuellen Inventars aus genau jenen
Eindrücken des halluzinogenen Drogenrauschs entwickelt.

Sofern es für unsere auf ökonomische Kalkulation und Ordnung des Lebens gerichtete Gesellschaft eine Notwendigkeit
gab, sich einen "Zugriff" auf jene individuell ausgelebten Rauschenergien des Drogenrausches zu sicher, dann weil:
"die Angst, das Selbst zu verlieren, und mit dem Selbst die Grenze zwischen sich und anderem Leben aufzuheben,
die Scheu vor Tod und Destruktion, mit einem Glücksversprechen verschwistert ist, von dem in jedem Augenblick die
Zivilisation bedroht war",
folgt man den Ausführungen von Horkheimer und Adorno. Bedroht, möchte ich behaupten,
weil uns der Rausch im Grundes seines Wesens verschwenderisch und nutzlos vergeudet erscheint.

Opiate, Halluzinogene, Psychopharmaka ---
mit den Produkten der wissenschaftlichen Vernunft gingen wir auf den Trip, die Reise, in eine andere Raum-Zeit-
Kontinuität, zu anderen Wahrnehmungshorizonten.
Die bis dahin als feststehend erfahrene Organisation der Sinne erlebte ihren lustvollen Zusammenbruch.
Eine der wichtigsten Erfahrungen --- und dies lässt sich in allen Versuchen, Rauscherfahrungen sprachlich zu fassen,
die unter dem Einfluss von Mescalin oder LSD gemacht wurden, auch nachlesen --- ist dabei vor allem, primär,
das Gefühl entweder stillstehender oder mit wahnsinniger Geschwindigkeit rasender Zeit, wobei sich darin jedoch
keine gegensätzlichen Erfahrungen ausdrücken, sondern beides einen zeitlosen Zustand zu zeitigen scheint,
immer gemessen am Vergehen "objektiver", messbarer, Uhrzeit.
(Um eine Erfahrung "messbar" zu machen, um etwa Zeit als vergehend, verfließend, zu bestimmen, bedarf es eines
Vor-Maßes, in diesem Fall also der Uhrenzeit.

Für den Berauschten verzerren sich die Dimensionen erlebter Räume, Objekte und Zeiten. Die Wahrnehmung verwandelt
sich und diese mit einem Schlag: Licht verwandelt sich in Töne, Töne verwandeln sich zu Licht, Musik wird zu Farbe,
Jahrzehnte werden in wenigen Minuten durchlebt, ein Augenblick scheint sich über Stunden zu dehnen.
Im Rausch lösen sich die Grenzen des vormals als "Außen" begriffenen in dem Maße auf, wie sich das "Ich" auflöst
und damit verschmilzt.

"Der narkotische Rausch, der für die Euphorie, in der das Selbst suspendiert ist, mit todähnlichem Schlaf büßen lässt, i
st eine der ältesten gesellschaftlichen Veranstaltungen, die zwischen Selbsterhaltung und-vernichtung vermitteln,
ein Versuch des Selbst, sich selbst zu überleben"
, um noch einmal Herrn Horkheimer zu diesem Thema zu bemühen..

Wie real diese Selbst-Auflösung werden kann kennt jeder, der sein Spiegelbild dann nicht mehr als zu-sich-gehörig erfährt.
Wenn die "Synchron-Spur" in diesem Moment reißt, droht der ganze Film im "Kopf-Kino" zusammen zu brechen.

Da sich der eigene Tod schon jeglichem gedanklichen Zugriff unsererseits entzieht, und dieses Erlebnis sich scheinbar
als blasse Ankündigung dieses Endes ausnimmt, kann sich "die Reise" im Ansturm existenzieller Angst zu einem
"horror-trip" wandeln. Die "endlosen freundlichen Weiten" verkehren sich bei diesem Versuch tradierter Selbst-
-Vergewisserung (Spiegelbild) in "furchterregende leere Räume", in denen alles Sein erloschen scheint, da sie weder
ein Denken von Vergangenheit noch von Zukunft zulassen. "Das Glück dabei gewesen zu sein" verkehrt sich in sein
Gegenteil.

Sofern es in diesem Zusammenhang überhaupt zulässig ist mit diesem Begriffen zu argumentieren, könnte man,
Michael Balint folgend, sagen, dass von den drei grundlegenden Zügen: Furcht, Wonne und zuversichtliche Hoffnung
angesichts einer äußeren Gefahr:, die sich in jedem "Thrill", jeder "Angstlust-Situation" , mischen,
die zuversichtliche Hoffnung, das Vertrauen darauf, die Furcht werde durchgestanden und beherrscht werden können
und die Gefahr werde vorübergehen, dass man bald wieder unverletzt zur sicheren Geborgenheit werde zurückkehren dürfen,
im Zustand des Rausches nicht mehr begründet scheint, ähnlich wie die Todesangst des Karussellfahrers u. U.
keine Relativierung zulässt.


Es wird keine Zeit mehr geben

Die in Bezug auf die Zeiterfahrung bestehende innere Verwandtschaft fast aller Rauschzustände, denen ein besonderes
Glücksmoment eigen ist, möchte ich noch an einem anderen Punkt betrachten, der jedoch nicht wie andere Rausch-
zustände bewusst herbei geführt wird, vor allem nicht wegen des sich einstellenden Glücksmomentes.

Die Epilepsie, d. h. der plötzlich einsetzende epileptische Anfall als deren Erscheinungsform, in dem der so Erkrankte
von starken Krämpfen geschüttelt wird und der von einer kurzen Bewusstlosigkeit begleitet ist, scheint sich, wie
Dostojewski beschreibt, durch einen vorausgehenden, mit großen Glücksgefühlen verbundenen Moment anzukündigen.
"Das Lebensgefühl, das Selbstbewusstsein wurde in diesem blitzartig auftretenden Momenten beinahe verzehntfacht.
Geist und Herz wurden von einem so ungewöhnlichen Licht erhellt, alle Erregungen, alle Zweifel, alle Unruhe wurde mit
einem mal besänftigt, lösten sich in eine heitere, von klarer, harmonischer Freude und Hoffnung erfüllten Ruhe auf."


So existenziell bedrohend der Anfall an sich ist, so tief wird auch das Glück erlebt, das dieser Augenblick bietet.
Der Zusammenbruch der Sinne und des Körpers kündigt sich mit einem Gefühl "höchster Harmonie und Schönheit" an,
der Stürzende erlebt, lt. Dostojewski, "eine bisher unerhörte und ungeahnte Empfindung von Fülle und Maß,
Versöhnung und ekstatisch anbetender Verschmelzung mit der höchsten Synthese des Lebens".

Dostojewski schreibt weiter: "In dem Augenblick ahnte ich den Sinn des eigenartigen Ausdrucks
"es wird keine Zeit mehr geben".

In ganz ähnlicher Weise wird "das Glück" des sogenannten "pyknoleptischen Anfalls" beschrieben, jener kurzen
Unterbrechung geistiger Gegenwärtigkeit im Alltag, wo Wirklichkeit für einen Moment zu verschwinden und wieder
aufzutauchen scheint, wo die "Dauer" unterbrochen wird. Es sind dies die Momente völliger geistiger Abwesenheit
mit ganz eigener Zeiterfahrung, denen wir uns, um unsere "eigenen Bezüge zur Zeit zu erfinden," hingeben,
wo wir für einen Moment oder für länger "völlig-weggetreten" sind, für einen Moment "außer-uns" sind, ohne dass diese
Momente als solche bis in unser Bewusstsein vordringen, wir danach also eine bewusste Erinnerung daran hätten.

Ganz gegensätzlich dazu ist sicher das Erlebnis eines "de-ja-vu": Es ist ein Moment absoluter Gegenwärtigkeit, in dem
aber auch die Bezüge zum Hier-und-Jetzt ins Wanken geraten und die Zeit plötzlich stillgestellt scheint."

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