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Die Dromovision -- das ist die Wahrheit von 55 Meilen in 1 Stunde
auf einem 6x16 cmm Stück 120er -Kodak-Panatomic-X-Film

Kurzer Rückblick:
Mit den steigenden Reisegeschwindigkeiten als einem Aspekt insgesamt beschleunigter Zeiterfahrung veränderte sich
das Raum-Zeit-Erleben und damit das Verhältnis zu den Dingen und Orten, die nicht mehr in ihrem originären
Hier-und-Jetzt, in ihrer als feststehend geglaubten Identität, erfahren werden konnten. Fahrzeug und Geschwindigkeit
und Fotografie erzwangen eine grundlegende Veränderung der Organisation der Sinneswahrnehmung und lösten die
Grundlagen von Erfahrung auf.
Was mit der sogenannten Verflüchtigung, dem scheinbaren Verschwinden des Vordergrundes begann,
wo die "Flüchtigkeit des Einzelnen" erst die "Wahrnehmung des Ganzen" ermöglichte, wo der "panoramatische Blick"
zur neuen Sehnatur werden musste, sich der beschleunigte Wechsel der Perspektiven zur Bilder- und Szenefolge
ausgewachsen hat, schieben sich heute die Panoramen zusammen und löschen sich mit wachsender Geschwindigkeit
gegenseitig aus.

Das Anschwellen der Momentaufnahmen summiert sich zum ROSA-RAUSCHEN.

Deshalb ist die registrierende, passive Kamera, deren Verschluss während der Fahrt für das ungehinderte Eindringen
der Bilder stets geöffnet ist, als Signifikant für die Beschleunigung der Bilderflut und dem daran "erblindenden
Passagier"
, näher an unserer Wahrnehmung, als die die Fotografie dies mit gestalterischen Mitteln je hätte sein können.

Die DROMOVISION --das ist die Wahrheit von 55 Meilen in 1 Stunde auf einem 6x16 cmm Stück 120er -Kodak-
Panatomic-X-Film - so, wie für Godard der Film 24 x Wahrheit pro Sekunde war.

Der einäugige Kontrollblick der im Automobil fest installierten Panorama-Kamera überlässt keinen Augenblick dem Vergessen.
n diesem Wissen fällt es umso einfacher, sich ganz dem Moment der Fahrt, dem Rausch der Geschwindigkeit der Bilder
und ihrer Auflösung hinzugeben und sich am "Glück dabei gewesen zu sein" zu berauschen.

Wenn einer der ursächlichen Gründe für die Lust an der Fotografie u. a. darin liegt, dass mit dem Gebrauch der Kamera dem
Vergessen ein Stück entrissen werden soll, die Todesangst verdrängt werden kann, dann ist mit der Fotokamera im Fahrzeug
ein "Gedächtnis" mit beliebig variablen Aufnahme-Kapazitäten installiert, das unterschiedslos alle Bilder herein nimmt und
speichert und uns damit gleichzeitig von jeglicher Erinnerung befreit.

Ich hatte festgestellt, dass mit dem Akt des Fotografierens Gegenwart und Vergangenheit, in "Ist-Gewesen" verwandelt wird.
Die im Fahrzeug nach vorn gerichtete Kamera scheint noch "ein Stück weiter" zu greifen und bereits die nahe Zukunft des
Reisenden vorweg zu nehmen. Diese ist bereits Vergangenheit, bevor sie den Augenblicksmoment der Gegenwart passiert.

Die DROMOVISION ist damit die Erinnerung an die Zukunft --- und das fast perfekte, weil rückstandslose Abbild des
Vergessens der Vergangenheit.

Die solchermaßen eingesetzte Foto-Kamera ist in Verbindung mit dem Auto und dessen Geschwindigkeit, die ebenfalls
die "Verflüchtigung bleibender Gegenstände simuliert", in der Perfektion des Vergessens nur noch durch die an einem
Kontrollmonitor gekoppelte Video-Überwachungs-Kamera zu übertreffen, da diese keine andere Zeit als den stehenden
Augenblick kennt.

Die DROMOVISION, das Produkt aus der Verbindung von Kamera und Automobil, ist die bildgewordene Lust am rauschhaften
Verschwinden-lassen der Bilder. Sie ist das Substrat der Gewalt der Geschwindigkeit, der Filtersatz, der vom "Sog der Leere"
der Geschwindigkeit und der exzessiven Distanzen des amerikanischen Kontinents nicht fortgerissen wurde.
Sie ist stehende Zeit.

Jean Beaudrillard beschreibt die Wüste in ´Amerika´ als "eine natürliche Verlängerung der inneren Körperstille".
Wenn die Sprache, die Technik und die Bauwerke des Menschen eine Verlängerung seiner konstruktiven Fähigkeiten sind,
ist die Wüste eine Fortsetzung seiner Fähigkeit zur Abwesenheit; sie ist das ideale Schema seiner verschwundenen Form.
Und doch ist die Wüste nicht ein Raum, den man aller Substanz entleert hat, ebenso wie die Stille nicht etwas ist, der man
alle Geräusche entzogen hat. Man braucht nicht die Augen zu schließen, um sie hören zu können.
Denn sie ist auch die Stille der Zeit.

Copyright © Erhard Scherpf